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Aktuelle Trends im Medical Design – Update nach Corona
Es ist mal wieder Zeit für ein Update der Medical Design Trends, ursprünglich gesammelt und veröffentlicht im Jahr 2018! Entwicklungen der Gesundheitsbranche sind spannend und es lohnt sich sie im Auge zu behalten. Dabei fallen seit Jahren langfristige Tendenzen auf, die wir auch in unseren vorherigen Updates beobachtet und zusammengefasst haben. Insbesondere technologische Lösungen verändern komplette Abläufe und Zuständigkeiten in Institutionen. Die Corona-Pandemie beschleunigt dies teilweise noch und mischt auch neue Trends hinzu. (Lesen Sie hierzu die 94 Trendprognosen, die Markus Wild zu Beginn der Pandemie aufgeschrieben hat) In diesem Beitrag haben wir die relevanten Trends in vier Bereichen zusammengestellt: Nutzer, Design, Technologie und Klinik/Medizin. Ausführliche Quellen finden Sie am Ende des Artikels.
1. NUTZER
Die Bevölkerung wird insgesamt immer älter, daher steigt der Bedarf an medizinischen Geräten und Unterstützung. Gleichzeitig wurden aber zu Beginn der Pandemie verschiebbare Eingriffe und Behandlungen in Kliniken und Praxen abgesagt und wir erleben es aktuell wieder. Home Healthcare wird somit immer gefragter. Die eigenständige Nutzung von Geräten am Pflegeort ermächtigt Patienten und steigert ihre Vertrautheit mit der eigenen Krankheit und dem Umgang damit. Gleichzeitig steigt somit der Bedarf an benutzerfreundlichen Geräten.
Unter Lösungen für den Point-of-Care (POC) und Wearables fallen zum Beispiel Plaketten für Pflegepersonal, die die Handhygiene erfassen; In-Ear-Wearables, die Vitalparameter messen und Sprachansagen für das Trainingsprogramm liefern; und viele mehr. Auch 2021 steigt der Trend zur Selbstüberwachung: Vermehrt durchgeführte Selbsttests räumen Anwendern mehr Flexibilität ein.
Es dreht sich also zunehmend um Nutzer und Patienten. Dessen Bedürfnisse können – analog zur Customer Journey – an einer Patient Journey verfolgt werden. Neben physischen und virtuellen Patientenerfahrungen (PX: patient experience) rücken auch die Erfahrungen der Krankenpfleger und -schwestern (CX: caregiver experience) in den Vordergrund. Eine beispielhafte Lösung, um die Arbeit von Pflegepersonal zu unterstützen, findet ihr in einer unserer Case Studies.
2. DESIGN
Für die PX spielen Panel PCs und Touchscreens eine wichtige Rolle, denn sie wirken zunehmend als Vermittler. Somit steigt der Bedarf an UX-, UI- und Spatial Design, um die Patient Experience bestmöglich zu gestalten. Beim Designen gilt es, Technologie- und Komfort-Aspekte zu beachten. Auch ein Klinikaufenthalt kann mit digitalen Lösungen komfortabler werden.
Entsprechend den Bereichen Home Healthcare, Usability und PX werden Geräte zunehmend maßgefertigt und mobil. Wearables müssen passgenau für den Körper gefertigt sein, damit der Tragekomfort gewährleistet ist. Aber nicht nur der Komfort rückt in den Fokus. Gerade am Beispiel von Tests und Masken in der Pandemiebekämpfung wird klar: Sie sind hilfreich, aber nicht umweltfreundlich. Abseits der Alltagshelfer ist die Entwicklung zu biologisch abbaubaren oder wiederverwendbaren Teilen gefragt, um medizinischen Müll zu reduzieren. Um Bedarfe wie diese zu erkennen, konzentrieren wir uns auf Design Thinking. Mit dem Blick auf den Menschen können Probleme erkannt und Lösungen gefunden werden.
Doch diese Lösungen sehen nicht überall auf der Welt gleich aus. Regulatorische Änderungen wie die MDR und IVDR beeinträchtigen in diesem Jahr Investitionen in Europa. China hingegen geht weiterhin als wachsende Nation hervor: Heimische Investitionen verstärken den Erfolg. Seit der SARS-CoV-2-Pandemie kommt es verstärkt zu M&As und Kooperationen zwischen Unternehmen.
Gleichzeitig sind internationale Gesetze unterschiedlich und nehmen Einfluss auf Sicherheit und Qualitätsstandards von Produkten. Auch deren Originalität ist ein Faktor, der global sehr bedeutend für Designer ist, denn durch die Globalisierung und Digitalisierung können Designs schnell verbreitet werden. Die Grenzen zwischen Kopien und der Orientierung an Bewährtem sind nicht immer eindeutig.
3. TECHNOLOGIE
Die Gesundheitsbranche wird zunehmend digital: Internet of Medical Things (IoMT) oder das Internet der Dinge (IoT), Apps und künstliche Intelligenz (KI) sorgen für intelligente, digitale und virtuelle Lösungen. Diese können beispielsweise zur frühzeitigen Erkennung von Epidemien oder zur Entwicklung neuer Medikamente beitragen. Mit all seinen Vorteilen wird der Bereich Digital Healthcare größer und größer: mHealth, eHealth und Telemedizin sind im Kommen.
Diese zunehmende Konnektivität setzt zusätzliche Hardware- und Software-Systeme voraus. So verwandeln sich etwa Smart Watches in medizinische Geräte: Mithilfe von Biosensoren führen non-invasive Messungen aus und liefern somit Echtzeitdaten. Die Gesundheitsfunktionen geben anschließend unter anderem Aufschluss über Herzfunktionen. Das Ergebnis von vielen dieser digitalen Anwendungen heißt Big Data. Der Bereich birgt viele Chancen für Prävention und Intervention. Big Data kann außerdem zur optimalen Personalbesetzung und Prozessoptimierung beitragen.
Genau hier setzt auch der vielseitige Bereich Robotics an. Roboter können einerseits menschlich erscheinen: In diesem Fall übernehmen sie soziale Tätigkeiten oder dienen als Rezeptionisten. In vielen weiteren Bereichen können die Helfer Prozesse beschleunigen und Arbeit abnehmen, die das Pflegepersonal folglich an anderer Stelle aufwenden kann. So können Roboter beispielsweise Geräte desinfizieren, (medizinische) Lieferungen innerhalb der Institution übernehmen oder Blut abnehmen.
Auch beim Heben von Patienten können sie mit anpacken und somit das Personal schonen. Zusätzlich sorgen Roboter in spezialisierter Form für erhebliche Verbesserungen: Als Prothesen ermöglichen sie gleichzeitige, komplexe Bewegungen durch Elektromyografie. Interaktive Mikroimplantate dienen als Schnittstellen für die Mensch-Technik-Interaktion und die Anpassung von Behandlungen. Mit Nanotechnologie können anhand der Implantate etwa gezielt Strukturen im Körper behandelt werden.
Für eine ansprechende und benutzerfreundliche Darstellung digitaler Inhalte sorgen Extended Reality, 3D- und 4K-Visualisierungen. Formate können beispielsweise erweiterte Behandlungen der Psychotherapie, wie kognitive Anreize für Demenzkranke, stellen. Auch in der Simulation von Operationen kann Virtual Reality angewendet werden.
4. KLINIK/MEDIZIN
Dass Patientenbedürfnisse zunehmend im Fokus stehen, zeichnet sich auch in dieser Kategorie ab: Personalisierte Medizin und Genommedizin ermöglichen eine neue Form der Prävention. Insbesondere für die Onkologie birgt dies viele Chancen. Auch in der plastischen und ästhetischen Chirurgie werden anhand von KI personalisierte Behandlungen ermöglicht. Anhand der Gesichtserkennung können so unter anderem Resultate einer OP im Vorfeld visualisiert werden oder Patienten werden zu ihren Bedürfnissen passende Hautpflegeprodukte vorgeschlagen.
Seit Jahren setzen Kliniken schon auf minimalinvasive Eingriffe. Mehr dazu gibt es in unseren drei Blogbeiträgen „Die Zukunft ist nicht-invasiv“. Mit möglichst kleinen Eingriffen soll die Heilung begünstigt werden. Patienten regenerieren schneller und werden weniger belastet. Zudem helfen neue Technologien, Engpässe in Kliniken zu verbessern. Spezialisierte Kliniken tragen zu einer maximal qualitativen Behandlung bei, denn aufgrund von (digitalen) POC-Lösungen können sich Krankenhäuser auf spezielle Krankheiten fokussieren. Einfachere Diagnostiken können zukünftig auch woanders übernommen werden: Mit dem Bedarf, direkt am Point-of-Care behandelt zu werden, verändert sich auch die Bedeutung der Pharmazie.
2020/21 war durch Impfentwicklung, Impfen und diagnostisches Testen bestimmt. Alle Player in der Gesundheitsversorgung bekamen plötzlich neue und erweiterte Aufgaben. Was wird davon bleiben? In Apotheken kann ein großer Teil von Schnelltests abgefangen werden, ohne Arztpraxen zusätzlich zu belasten. Apotheken werden deshalb vermutlich immer patientenorientierter. Auch hier können Kommissionier-Roboter logistische Aufgaben übernehmen – wertvolle Zeit, die das Personal sparen und zum Beraten aufwenden kann. Neben Apotheken gibt es auch in anderen Institutionen die Forderung, Lieferketten neu zu bewerten. Die Ziele: Gesamtkosten reduzieren, eine zentralisierte Entscheidungsfindung und Optimierungen für Patient und Personal. Auch Drive-Through-Kliniken sind ein interessantes Modell für die Zukunft, das sich mit Covid-19-Tests schon bewährt hat.
Chancen & Risiken
Ein Risiko, das Wissenschaftler bei den beschriebenen Entwicklungen sehen, ist die Substitution von Menschen in der Arbeitswelt. Demgegenüber steht aber die Annahme, dass Menschen nicht komplett ersetzt werden, sondern sich im Gegenteil sogar besser auf ihre Fähigkeiten konzentrieren können, indem monotone, praktische und bürokratische Tätigkeiten von KI übernommen werden. So entstehen viele Optimierungen für Kliniken, Patienten und Pflegepersonal. Maschinen müssen den Menschen also nicht ersetzen – sie können ihn aber wunderbar unterstützen. In diesem Beitrag wurden dafür einige Beispiele genannt. Im medizinischen Bereich können mit Hilfe von KI und Big Data Krankheiten schneller identifiziert werden und eine optimale individuelle Behandlung für Patienten abgestimmt werden.
Für alle höher komplexen Tätigkeiten braucht es immer das intuitive „Wissen“ des Menschen und seine im Problemfall unschlagbare Gabe der Improvisation. In klar abgesteckten Bereichen wird die Maschine, oder besser – der Roboter – allerdings bald ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil im Pflegebereich und OP sein und die menschliche Leistungsfähigkeit in einigen Bereichen übertreffen. Der Roboter wird ein sehr hilfreiches und alltägliches Werkzeug in der Gesundheitsbranche sein. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Sven Dörhage, Büroleiter München
Probleme, die mit digitalen Lösungen einhergehen, sind Datenschutz und Privatsphäre der Anwender. Deren Daten sind wertvoll und es gilt, diese privaten, gesundheitlichen Daten zu schützen. Daher steigt auch die Bedeutung von Cybersecurity.
Wie werden sich die Trends entwickeln?
Die zusammengefassten Trends dieses Beitrags zeichnen sich seit einiger Zeit ab. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie sich weiterentwickeln und immer neue Chancen bieten. Natürlich tauchen mit fortschreitender Entwicklung auch neue Risiken auf, die es ebenso gilt, im Auge zu behalten, wie die medizinischen Trends. Auf diesem Weg finden wir immer neue Hinweise für progressives Design.
Trends werden auch in unseren 24 Designfaktoren berücksichtigt. Mehr zu dem Faktor lesen Sie hier.
Autor: Markus Wild, Januar 2023
04 Tipps vom Experten
- Setzen Sie auf Mensch-zentriertes Design
Richten Sie Ihre Produkte und Dienstleistungen konsequent an den Bedürfnissen der Nutzer aus. Berücksichtigen Sie die Patient Experience (PX) und die Caregiver Experience (CX), um benutzerfreundliche und effektive Lösungen zu schaffen. - Berücksichtigen Sie Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit
Entwickeln Sie Produkte, die medizinischen Abfall reduzieren und nachhaltige Materialien verwenden. Umweltfreundliches Design gewinnt an Bedeutung und stärkt die positive Wahrnehmung Ihrer Marke. - Nutzen Sie Design und Zukunftsforschung als strategisches Instrument
Kombinieren Sie Design mit Zukunftsforschung, um kraftvolle strategische Vorteile zu erzielen. Diese Verbindung kann Innovationen vorantreiben und Ihr Unternehmen zukunftssicher aufstellen. Fragen Sie uns, wie das geht! - Integrieren Sie Trends in Ihre Entwicklungsroadmap
Beziehen Sie aktuelle Trends und Meta-Trends in Ihre Entwicklungsplanung ein. So stellen Sie sicher, dass Ihre Produkte den zukünftigen Anforderungen gerecht werden und sich erfolgreich im Markt positionieren.
Häufig gestellte Fragen