Perspective
Die Kopie ehrt den Meister! … echt?
Designkopien, Fälschungen, Plagiate, jahrelang hatten wir wenig bis gar nichts mit diesen Themen zu tun. Wir waren so wenig davon betroffen, dass wir uns schon Sorgen machten: lohnt es sich nicht, unsere Arbeiten zu kopieren? Oder ist die Medizintechnik als Markt mit geringen Stückzahlen und hohen Anforderungen einfach kein geeignetes Tätigkeitsfeld für Raubkopierer?
Vor kurzem nun hat sich das geändert. Ziemlich verwundert waren wir, als wir kurz nacheinander auf zwei äußerst dreiste Fälle im Zusammenhang mit unserem hoch geschätzten Kunden Salvia Medical gestoßen sind:
3D CAD Nachbau des vielfach ausgezeichneten Elisa 800 Intensivbeatmers.
Die Firma 3DExport aus San Jose USA bietet eine Vielzahl von realitätsgetreuen 3D Modellen für die Verwendung in Computergrafik-Umgebungen, z.B. in Computerspielen an. Für nur 16 US $ kann man hier den kompletten Datensatz der Elisa 800 erwerben. Im direkten Vergleich mit dem echten Produkt erkennt man leichte Abweichungen bzw. Vereinfachungen, aber ansonsten ist das Produkt bis auf GUI und Touchscreen sauber nachgebaut. Ein solcher Nachbau (ohne jegliche Erlaubnis) und ohne Vorlagen dürfte einige hundert Stunden benötigt haben. Warum machen die das?
100% Fälschung der Salvia Medical Webseite
och ein wenig skurriler ist der zweite Fall: Die mutmaßliche Fake-Firma D-BALTIMORE LLC, 35 Clyde Rd. Suite A, Somerset, NJ 08878, USA hat die komplette Webseite von Salvia medical 1:1 kopiert und ALLES mit ihrem Logo versehen. Die Fake-Seite ist bei Veröffentlichung dieses Artikels immer noch live! Texte, Claims, Produktfotos, Design Awards – alles ohne Abweichung geklaut und mit viel Liebe zum Detail auf das Fake-Branding umgestellt. Was macht das für einen Sinn? Die Firma kann keines der Produkte liefern und sie bietet, zumindest auf dieser Webseite, auch keine anderen an.
Ein Fall für Kommissar Plagiarius?
Schon seit 1977 gibt es eine tapfere Institution, die sich solcher Fälle annimmt: Aktion Plagiarius e.V. vom Industriedesigner Rido Busse ins Leben gerufen, vergibt jährlich eine ansehnliche Reihe von Auszeichnungen für die „dreisteste Kopie“.
1:1 Nachbauten bekannter Produkte inklusive aller Details und oft auch aller Fehler. Denn diese Kopisten wissen oft nicht, was sie tun – sie kopieren einfach alles möglichst genau und schalten dabei zwangsläufig ihren kritischen Verstand aus. Bei der Durchsicht der Plagiarius Jahrbücher ist man aber durchaus erstaunt, dass diese exakten Kopien nicht nur aus dem Reich der Mitte stammen, sondern dass auch eine Menge „ausgezeichneter“ Kopierer aus unserem Kulturkreis kommen.
„Nachahmung ist die aufrichtigste Form derSchmeichelei“
Der Aphorismus des englischen Essayisten Charles Caleb Colton aus dem 17. Jahrhundert verdeutlicht wie kein anderer unsere gesellschaftliche Einstellung zum Kopieren und Nachahmen: sie ist ein hoch umstrittenes Thema, das in vielen Bereichen von entscheidender Bedeutung ist, in der Wissenschaft, in der Kunst bis hin zum Lifestyle und Design. Sie impliziert wichtige Problembereiche wie geistiges Eigentum, damit verbundene Geschäftsinteressen, rechtliche Fragen wobei sie fast immer von einem starken moralischen Unterton begleitet wird.
Meist gibt es Streit. Basis für diese Streitigkeiten sind in der Regel Patent-, Marken- oder Geschmacksmusterrecht, deren Wurzeln tatsächlich bis ins vorchristliche Griechenland zurückreichen und die mit folgendem Tauschhandel aufwarten: „Verrate jetzt sofort aller Welt deine Ideen und Rezepte damit sich der Fortschritt möglichst schnell zum Wohle Aller verbreiten kann – und wir gewähren dir ein paar Jahre alleiniger, exklusiver Wertschöpfung aus deinen Ideen.“ Aus dieser genialen Idee entstand ein sehr kompliziertes, schwer zu objektivierendes Rechtsgebiet auf dem man berechtigte Interessen oft nur mit hohem Aufwand durchsetzen kann.
Der EuGH und die Patentgerichte sind voll von aktuellen Streitigkeiten und kuriosen Fällen: Zum Beispiel beschuldigte unlängst Levi’s die französische Modemarke Kenzo des Diebstahls an ihrem charakteristischen roten Etikett auf den Hosentaschen. In Großbritannien verklagte Mondelez Poundland vor dem High Court, weil sie ihren bergähnlichen Schokoladen-Look gestohlen haben sollten. Mit Twin Peaks, einem doppelten Schokoladenriegel, der der Toblerone überaus ähnlich sieht.
Das Design-Originalitäts-Dilemma
In unserer vernetzten Welt wird so viel entworfen und entwickelt, dass die Räume zwischen den Originalen immer kleiner werden. Die Arbeit des Designers wird eben landläufig mit originellen Ideen und Kreativität gleichgesetzt. Andererseits dient Design immer einem Zweck und dies setzt der Originalität deutliche Grenzen. Dies ist auch der Hauptunterschied zwischen Design und Kunst – Kunst muss original sein, Design muss einem Zweck dienen und darf dabei original sein. Aber auch in der Kunst sind die Grenzen verschwommen.
„Good artists copy, great artists steal“
ein Zitat das Steve Jobs zugeschrieben wird, spiegelt somit die Einstellung der Ikone modernen Designs zur künstlerischen Meisterschaft wider – „machen Sie etwas, was jemand anderes gemacht hat, aber machen Sie es so, dass die Leute es als Ihr eigenes anerkennen.“ Apple handelte tatsächlich so und machte sich die strenge Formensprache und Philosophie der Marke BRAUN, erfunden von Dieter Rams in den 60er Jahren zu eigen. Besonders deutlich wird es an Beispielen wie dem Taschenrechner, wie der FAZ Artikel aus dem Jahr 2010 aufzeigt.
Wir bei WILDDESIGN sind übrigens sehr froh, dass inzwischen der dominierende Einfluss von Apple auf unsere Designpraxis wieder schwächer geworden ist – und nicht mehr 4 von 5 Auftraggebern uns beim Briefing bitten, ihrem Kühlschrank-großen Gerät einen sexy iPhone-Look zu verpassen.
Wo fängt es an, das Kopieren?
Mit der Aufforderung, einem erfolgreichen Beispiel wie dem iPhone nachzuahmen? Besonders im Design gibt es den ständigen Druck, originell zu sein. Jarrod Drysdale, Autor von „Bootstrapping Design“ sagt: Das ist es, was Designer oft als „Inspiration finden“, „Best Practice“ oder „Benchmarking“ bezeichnen. Alles ausgefallene Euphemismen für mehr oder weniger exaktes Kopieren.“
Aber man sollte das Rad ja auch nicht immer wieder neu erfinden.
Es gibt auch praktische Gründe, warum Designer bestimmte Konventionen und Regeln befolgen und sogar verpflichtet sind, nach dem Stand der Technik zu arbeiten. Die Abweichung von Bewährtem bringt in der Regel Akzeptanzprobleme bei den Anwendern mit sich. Und ist der Zwang zur Originalität denn wirklich nützlich?
Menschen sind Gewohnheitstiere, wir gewöhnen uns daran, uns im Alltag auf einer intuitiven Ebene zu orientieren. Die Entwicklung eines völlig neuen Designs für ein Produkt, das die Menschen aus Gewohnheit auf eine bestimmte Weise verwenden, kann die Benutzerfreundlichkeit beeinträchtigen und die Verbraucher verwirren, was das Design im Endeffekt unerwünscht und erfolglos macht.
Kopieren – eine rein chinesische Problematik?
Wir würden gern mit diesem Vorurteil aufräumen, dass nämlich Kopieren und Urheberrechtsverletzungen in aller Regel aus China stammen. Das mag für eine bestimmte Art einfacher Raubkopien stimmen, aber die Wirklichkeit ist raffinierter und komplexer.
Dass es auch nach hinten losgehen kann, wenn man von moralisch überlegener Position Plagiate aus dem Ausland abwehren will, lehrt die vielzitierte Geschichte des „Made in Germany“ Labels, das die englische Industrie Ende des 19. Jahrhundert auf deutsche Waren, insbesondere „minderwertige“ Maschinen klebte. Es dauerte 60 Jahre, bis sich die Bedeutung ins Gegenteil verkehrte und zu einem unwiderstehlichen weltweiten Gütesiegel wurde.
Ähnliches könnte uns auch mit all den eingenähten Etiketten „made in China“ passieren, allerdings weitaus schneller. Denn was man von Europa aus nur schwer erkennen kann, erleben wir in unserem Büro in Shanghai täglich: Chinesische Designer, die in den vergangenen 12 Jahren in unserem Chinesischen Büro arbeiteten oder immer noch arbeiten, gehören mit zu den kreativsten Persönlichkeiten und originellsten Entwerfern, die wir kennen. Und das sind keine Ausnahmen. China emanzipiert sich auch im Entwerfen.
Was nun, was tun?
Wie soll man jetzt als betroffener Hersteller damit umgehen?
Zunächst ist es sicher eine gute Idee, sich mit den Designern abzusprechen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie gewöhnlich, aussergewöhnlich oder dreist dieser spezielle Fall gelagert ist. Andere geeignete Ansprechpartner sind Patentanwälte, um die rechtliche Position zu ermitteln, Handelspartner, um ggf. noch mehr Hintergrundinformationen aus den betroffenen Märkten zu erhalten.
Wenn es sich tatsächlich um eine Fälschung handelt, muss konsequent gehandelt werden, denn nicht nur die eigene Reputation steht auf dem Spiel sondern im Zweifelsfall auch Leib und Leben von Anwendern oder Verbrauchern. Jenseits der moralischen Entrüstung sollte man dann nüchtern nach dem tatsächlichen oder potenziellen Schaden urteilen.
Und siehe da, da schneidet das Beispiel des 3D Daten Nachbaus des Salvia Elisa Intensivbeatmers vielleicht gar nicht mal so schlecht ab. Tatsächlich ergibt sich durch die Verbreitung in Computer-Games ein positiver Effekt ähnlich einem Product-Placement – selbiges Gerät wird ebenfalls gern in Krankenhaus-Soaps als Requisite eingesetzt und steht für eine moderne medizintechnische Ausstattung und somit für eine hohe Qualität der Fernsehserie. In gewisser Weise also eine unbezahlte Promotion für Salvia?
Auch wenn wir keine abschließende bzw. eindeutige Meinung zu dem Thema gefunden haben, so stehen wir doch selbstverständlich auf der Seite der grundehrlichen Kreativarbeiter, die einen größtmöglichen Abstand zu anderen Designs halten, aber selbstverständlich alle legalen Methoden anwenden, um im Markt und in der Gunst der Käufer besser als der Wettbewerb abzuschneiden, frei nach dem Motto:
Most advanced – yet acceptable!
Häufig gestellte Fragen